Kommentar |
In den letzten Jahren hat sich u.a in Spanien ein Selbstoptimierungs-Trend entwickelt (Ernährung, Fitness, Schlaf, Haut, Mental Health, kardiovaskuläre-Funktionen etc.). Der Austausch auf Social Media trägt dazu bei, dass der Körper einer Art Wettbewerb unterworfen und zugleich zum Objekt biopolitischer Maßnahmen wird. Jede Form von Überwachung und Optimierung suggeriert das Gefühl, die Kontrolle über den Körper zu haben und (todbringende) Krankheiten abwehren zu können – eine Angst, die sicher von den Pandemie-Erfahrungen und der im Netz überproportionalen Schilderung maligner Krankheitsverläufe geschürt wird. Die Vorstellung, durch gutes Verhalten tödliche Krankheiten abwenden zu können, birgt dabei auch eine potentielle Schuldproblematik, mit derer sich (dann doch) Erkrankte konfrontiert sehen. Gleichzeitig birgt der Wunsch nach Sicherheit ein immenses wirtschaftliches Potential, wobei Informationen und Werbung gezielt so gestreut werden, dass Menschen das Gefühl bekommen, durch umfassende Selbst-Optimierung für ihre Gesundheit sorgen zu können.
Der Kurs richtet sich an Studierende, die an einer literatur-, kultur- und medizinwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den ‚großen‘ Krankheiten des 19., 20. Und 21. Jahrhunderts interessiert sind. Für das 19. Jahrhundert werden wir El doctor Centeno von Benito Pérez Galdós lesen und die Tuberkulose im Spannungsfeld von Medizin- und Wissenschaftsgeschichte und ästhetischer Romantisierung analysieren. Für das 20. Jahrhundert lesen wir das fiktive Tagebuch Un año sin amor von Pablo Pérez. Die Erzählung spielt 1996, dem Jahr, in dem die antiretrovirale Therapie entwickelt wurde, mithilfe derer HIV-Infizierte nicht mehr dem Tode geweiht sind. Für das 21. Jahrhundert schauen wir den Film Planta cuarta, in dem es um an Knochenkrebs erkrankte Jugendliche und ihre Freundschaft geht. Er ist u.a vom Schöningh Verlag für den Einsatz im Spanischunterricht vorgesehen. Wir beschäftigen uns u.a mit zeitgenössischen Krankheitsmodellen, der Vorstellung von Ansteckung, Stigmatisierungen, und schauen, welchen Nutzen die literarische Verarbeitung von Krankheiten sowohl für die Literatur als auch für die Medizin haben kann.
Bitte beschaffen Sie sich die beiden Texte in beliebiger spanischer Fassung. Als weitergehende Literatur seien exemplarisch Susan Sonntag (u.a Krankheit als Metapher, Aids und seine Metaphern), Michel Foucaults (zum Thema Diskurs und zur Bio-Macht), und Thomas Anz (Gesund oder krank?) genannt. |