Kommentar |
Das Museum Folkwang ist ein bedeutender Ort der musealen Rezeption von Vincent van Gogh und Paul Gauguin in Deutschland. Nur wenige Museen verfügen hierzulande über einen ähnlich umfangreichen Bestand an Gemälden, Zeichnungen und Druckgraphiken dieser „Väter der Moderne“. Die Werke gehen auf die progressive Ankaufspolitik des Museumsgründers Karl Ernst Osthaus für sein im Jahr 1902 gegründetes Hagener Folkwang Museum zurück. Van Goghs berühmte „Rhonebarken“ konnten hingegen 1912 von Ernst Gosebruch für das Essener Kunstmuseum erworben werden. Grund genug, sich in einem Seminar ausführlicher mit dem reichhaltigen Oeuvre der beiden postimpressionistischen Maler zu beschäftigen, deren Lebenswege sich als Künstlerfreunde bzw. Konkurrenten immer wieder gekreuzt haben und deren 1888 letztlich unglücklich verlaufene Begegnung im südfranzösischen Arles für beide weitreichende Folgen hatte. Ihr Briefwechsel belegt einen regen Austausch zu ästhetischen Fragen und den Willen, die Kunst ihrer Zeit zu erneuern.
Beide Künstler begannen als Autodidakten und kamen erst spät zur Kunst: van Gogh der zeitweilig als Hilfslehrer und danach als Laienprediger im Borinage, dem belgischen Steinkohlenbezirk, tätig war und Gauguin als Offiziersanwärter bei der Handelsmarine und Bankangestellter, der nach dem Börsenkrach 1882 seinen bürgerlichen Beruf für die Malerei aufgab. Paris und Umgebung, Pont-Aven in der Bretagne, das karibische Martinique oder die lichterfüllte Landschaft der Provence boten beiden Künstlern mannigfaltige Anregungen, um im Austausch mit anderen Künstlerpersönlichkeiten des Spätimpressionismus einen neuen synthetischen Stil zu etablieren. Während Gauguin mit einem neuen Eigenwert der Farbe vor allem auf die dekorative Kraft der Linie setzt, die Flächen im Bild voneinander scheidet, verwendet van Gogh einen dynamisierten Pinselstrich mit pastosem Farbauftrag, der eine ganz eigene expressive Kraft entwickelt. Der Niederländer glaubte zeitweilig im Süden Frankreichs sein künstlerisches Paradies gefunden zu haben, Gauguin hingegen zog es schließlich nach Polynesien, wo er eine unberührte, traditionelle Welt als Inspiration für seine Malerei vorzufinden hoffte. Die Begegnung mit der neuen Kunst von Vincent van Gogh und Paul Gauguin, einer „Malerei im Rohzustand“ (Vincent van Gogh) war einflussreich für die Formung der Moderne u.a. für die „Fauves“ in Frankreich oder auch die deutschen Expressionisten der „Brücke“, deren Werke aus der Sammlung des Museum Folkwang ebenfalls in die Betrachtung einbezogen werden.
Das Seminar widmet sich schwerpunktmäßig den Lebens- und Werkläufen beider Künstler, fragt nach Gemeinsamkeiten und Individualitäten und geht der ausgeprägten Legendenbildung in der Kunstgeschichte nach, die aus van Gogh den Phänotyp eines tragischen Künstlergenies gemacht hat und aus Gauguin einen der westlichen Zivilisation den Rücken kehrenden Primitivisten. Zu diesem Bild haben auch zahlreiche literarische Anverwandlungen beigetragen: Von William Somerset Maughams „The Moon and Sixpence“ (1919) über Carl Sternheims Künstlernovelle „Gauguin und van Gogh“ (1924) bis zu Irving Stones Roman „Lust for Life“ (1934) oder Antonin Artauds Studie „Van Gogh, le suicidé de la société“ (1947) spannt sich der Bogen fiktionaler Künstlerbiographien, die mehrfach Vorlagen für Spielfilme waren. Neben die intensive Betrachtung von Originalen der beiden Künstler treten museumstheoretische Fragestellungen u.a. zum heutigen Umgang mit Exotismus und Kolonialismus oder einer diskriminierungskritischen Betitelung von Kunstwerken. |
Literatur |
Evelyn Benesch (Hg.): Gauguin unexpected, Ausstellungskatalog Kunstforum Wien, Heidelberg 2024
Alexander Eiling / Felix Krämer (Hg.): Making Van Gogh. Geschichte einer deutschen Liebe, Ausstellungskatalog Städel Museum Frankfurt am Main, München 2019
Flemming Friborg: Gauguin. The Master, the Monster and the Myth, Kopenhagen 2023
Uwe M. Schneede: Vincent van Gogh, München 2019 |