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Das Proseminar widmet sich unterschiedlichen Formen autobiographischen und autofiktionalen Schreibens in der spanischsprachigen Literatur. Nach einer Einführung in grundlegende Theorien zu Autobiographie und Autofiktion (u.a. nach Philippe Lejeune, Leonor Arfuch, Serge Doubrovsky) diskutieren wir Definitionen, Problemfelder und die Frage nach Authentizität und Konstruktion des erzählenden „Ich“.
Historisch spannt das Seminar den Bogen vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart.
Zu Beginn steht das Selbstzeugnis Eleno de Céspedes, dessen autobiographische Aussagen als Teil einer Inquisitionsakte erhalten sind. Dieser Text sprengt traditionelle Erwartungen an Zugehörigkeitskategorien und dokumentiert, wie autobiographisches Sprechen als Widerstand gegen gesellschaftliche Marginalisierung und institutionelle Gewalt genutzt werden kann. Mit der Autobiografía de un esclavo von Juan Francisco Manzano rückt im 19. Jahrhundert die Perspektive eines afro-kubanischen Dichters in den Mittelpunkt. Manzanos Werk steht beispielhaft für das autobiographische Schreiben als Akt der Selbstermächtigung und als Anklage gegen Sklaverei, Ausgrenzung und koloniale Gewalt. Im 20. und 21. Jahrhundert betrachtet das Seminar eine Reihe von Texten, die das Genre weiter öffnen und politisieren. In El invencible verano de Liliana thematisiert Cristina Rivera Garza den Femizid an ihrer Schwester und verbindet die literarische Auseinandersetzung mit persönlicher Erinnerung, gesellschaftskritischen Reflexionen, autofiktionalen und dokumentarischen Elementen. Elicura Chihuailaf reflektiert in Recado confidencial a los chilenos aus einer indigenen Perspektive die Zusammenhänge von persönlichen Erfahrungen, kollektiver Erinnerung und Sprache. Pedro Lemebel macht in Loco afán queere und marginalisierte Lebenswelten im Chile der Militärdiktatur sichtbar und überschreitet die Grenzen zwischen Reportage, Essay und persönlichem Bekenntnis. Das Testimonio von Domitila Barrios de Chungara, Si me permiten hablar…, gibt Einblick in den Widerstand einer indigenen Minenarbeiterin gegen patriarchale und politische Unterdrückung. Im Mittelpunkt stehen die Analyse literarischer Strategien des Selbst, der Repräsentation von Zugehörigkeit und Erinnerung sowie die Reflexion gesellschaftlicher, kultureller und historischer Kontexte. Für die Teilnahme am Seminar wird die Bereitschaft zur Lektüre der spanischen Originaltexte und zur aktiven Diskussion vorausgesetzt.
Literaturhinweise:
- Céspedes, Eleno de: Auszüge in: Carrasco (Hg.), Inquisición y represión sexual en España. Taurus, 1985.
- Manzano, Juan Francisco: Autobiografía de un esclavo. Ediciones Cátedra, 2015.
- Rivera Garza, Cristina: El invencible verano de Liliana. Literatura Random House, 2021.
- Chihuailaf, Elicura: Recado confidencial a los chilenos. Lom Ediciones, 1999.
- Lemebel, Pedro: Loco afán. Grijalbo Mondadori, 1996.
- Barrios de Chungara, Domitila: Si me permiten hablar.... Siglo XXI Editores, 1977.
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