Kommentar |
Der Wohlfahrtsstaat gilt in Deutschland als institutioneller Garant für gesellschaftlichen Zusammenhalt und soziale Stabilität. Seit den 1990er Jahren gerät er jedoch zunehmend unter Druck: Ökonomische Transformationen, ein sich wandelnder Arbeitsmarkt, neue soziale Risiken und darauf reagierende Reformen haben wohlfahrtsstaatliche Strukturen grundlegend verändert. Auch neue Entwicklungen, wie wachsende sozioökonomische Ungleichheit, Klimawandel und der Aufstieg autoritärer Kräfte stellen den Wohlfahrtsstaat vor neue Herausforderungen und führen häufig zu polarisierenden politischen Kontroversen. So wird verstärkt um die Frage gestritten, welche Form des Wohlfahrtsstaats wir als demokratische Gesellschaft wollen bzw. uns noch leisten können.
Vor diesem Hintergrund behandelt das Seminar historische Entwicklungspfade, aktuelle Umbrüche und politische Konflikte wohlfahrtsstaatlicher Transformationsprozesse. Dabei werden u.a. folgende Fragen in den Blick genommen: Welche normativen Leitbilder, Legitimationsmuster und Deutungen prägen die Entstehung und Entwicklung des Wohlfahrtsstaates? Welche Wohlfahrtsstaatstypen lassen sich im internationalen Vergleich unterscheiden und was macht den deutschen Wohlfahrtsstaat dabei besonders? Wie können Reformprozesse, Krisen und Kontinuitäten im Wohlfahrtsstaat kritisch reflektiert und eingeordnet werden? In diesem Kontext wird auch die zentrale Rolle von Diskursmacht und Erzählungen in verschiedenen Feldern der Sozialpolitik thematisiert und gemeinsam diskutiert.
Das Seminar verbindet theoretische und empirische Perspektiven aus der politikwissenschaftlichen Wohlfahrtsstaatsforschung und sensibilisiert für die Relevanz von Sprache, Ideologie und Moral in sozialpolitischen Debatten und Entscheidungsprozessen. Denn erst ein Wissen um die konkurrierenden politischen Narrative zum Sinn und Zweck des Wohlfahrtsstaats ermöglicht uns eine reflektierte eigene Positionierung, die Vorschläge zur Kritik und Reform miteinbezieht. Das übergreifende Ziel des Seminars ist es, ein vertieftes Verständnis für Dynamiken und Aushandlungsprozesse wohlfahrtsstaatlichen Wandels zu entwickeln, auch mit Blick auf die Bedeutung für Profession und Praxis der Sozialen Arbeit. |
Literatur |
Dallinger, Ursula (2016): Sozialpolitik im internationalen Vergleich. Konstanz/München: UTB
Kuhlmann, Johanna (2022): Vom Problem zur Lösung? – Narrative Konstruktionen des Wohlfahrtsstaats und ihre Dynamiken in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ethik und Gesellschaft (2), 1-19
Lessenich, Stephan (2015): Die Neuerfindung des Sozialen. Der Sozialstaat im flexiblen Kapitalismus. 3. Aufl. Bielefeld: transcript Verlag
Nullmeier, Frank (2013): Wissenspolitologie und interpretative Politikanalyse, in: Sabine Kropp und Sabine Kuhlmann (Hg.), Wissen und Expertise in Politik und Verwaltung, Leverkusen: Verlag Barbara Budrich, 21-44 |